Girl Scout in Hamburg
Ich bin ja diesmal nach HH um Girl Scout 1 zu sehen, die ich in Bologna als Vorband von Alvvays sowohl erleben durfte sowie Mini-interviewen nach dem Konzert (sie standen vor dem Bierstand rum). Ich habe Sie über Mail angeschrieben, ob sie wohl ein Bier trinken wollen beim Hamburgkonzert, wurde aber dafür sträflich ignoriert. Diesen persönlichen Affront gesichtswahrend übergehend beschloss ich, meiner Liebe zur Musik den Vorrang vor dem verletzten Gefühl der Ehre zu geben, und trotzdem zum Konzert zu gehen.
Erst mal musste ich leider feststellen, dass ich mit meiner Motivation, Girl Scout zu sehen, wohl ziemlich alleine war - sowohl bei der Band davor wie bei Girl Scout stand ich in der vordersten Reihe weitestgehend alleine, wenn man von den (sehr nervigen) Fotografen absah, die meinten, das Konzert aus jedem Winkel ablichten zu müssen, und mich dabei immer wieder aus der Tanztrance rissen. Die Masse der Menschen (darunter auffällig viele mittelalte Singlefrauen - der Sänger scheint es ihnen angetan zu haben) fand sich wohl für “The Subways” bzw. den Soloauftritt dessen Sängers Billy Lunn ein. Ich hab von ihm nicht mehr viel mitbekommen, da ich a) ohnehin zum Zug musste und ich b) von seinem Gesang alleine einfach nicht angetan war - wenn man auf die Texte hört vielleicht einträglich (k.a., hab ich nicht), aber musikalisch einfach sehr langweilig. Er meinte, seine Bandmitglieder seien nicht mit, weil sie zu faul seien - wer will schon auch fürs Musikspielen nach Hamburg? Berlin würde ich da auch eher noch einsehen.
Von der Band vor Girl Scout, Pfoertner, hab ich vor dem Konzert niente gehört, war aber sehr, sehr angenehm überrascht. Zuerst waren sie alle überaus hot gekleidet - der Bassist (im Bild leider einerseits überbelichtet und andererseits hinter dem Sänger nicht sehr sichtbar) hatte Rock an, der Sänger hatte einen süszen Schmetterlingsohrring sowie eine schwarze Jacke mit goldenen Knebeln und schlussendlich der Gitarrist ein Glitzer-transparentes Oberteil. Man bemerke außerdem (ich habs einfach für Bühnendeko des Knust gehalten) die Blumenzweige an den Mikrofonen - bei Girl Scout sind sie weg, also eindeutig auch ein (wohlgesetztes) Stilelement der Band. Zweitens hatten sie eine Cellistin auf der Bühne - wer hat das schon! Die Musik fand ich dann auch höchst eingänglich - es gab Soloteile des Gitarristen, an den richtigen Stellen Ruhe und Punk, und immer sehr tief gefühlte und genügend abstrakte Texte des Sängers. Zu den besten Zeiten klangen sie wie Black Country, New Road, zu den schlechtesten Zeiten wie eine hochbegabte deutsche Indierockband.
In der Pause zwischen den Bands habe ich eine der raren Mittänzerinnen vor der Bühne angesprochen - mein Aufhänger war das Pflaster auf ihrem Gesicht. Sie hat mir davon berichtet, dass das ein Pickel wäre, den sie vor dem Aufreiben schützen müsste, weil er dann immer so nässt, und hat mir noch Stolz einen anderen Pickel präsentiert, der das nicht tue. Ich fand diese Offenheit ob der diversen Körperausschüttungen (die ja sonst eher ein Tabuthema sind) sehr erfrischend, und musste mit Bedauern feststellen, dass sie kurz vor der nächsten Band abgehauen ist, um einen ihrer Sticker für “Distortion Disco” anzubringen (Party für flinta* und queer Künstlerinnen in HH am 5. 10. Ich kann es wegen der Musik nicht empfehlen, da ich a) gar nicht weiß was spielt und b) Konzerte, die sich einen explizit politischen Zweck gesetzt haben, oft richtig schreckliche Musik haben aber kann es euch nur ans Herz legen, wenn ihr einmal ein schamloses Gespräch über Pickel sucht - sie war ziemlich kurz, hatte kurz geschnittene braune Haare, hatte ein Pflaster im Gesicht und wild getanzt).
Schließlich startete endlich Girl Scout. Ein Review der Musik wurde an anderer Stelle schon von klügeren Menschen als mir geleistet (siehe [1]), es genügt zu sagen, dass ich dem Gitarristen beim Aufbauen zuschauen durfte, und er mir einen Fuzzer präsentiert hat, der als Logo eine Ananas, ein Schwein und einen Smiley enthielt. Und dass der Schlagzeuger ständig ziemlich besoffen dreinblickte, aber nie einen Einsatz verpasst hat.
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T. Hahn, The joy inducing effects of the audio-visual output of the band of travelling musicians commonly referred to as “Girl Scout.” “Konzerte Konzerte Konzerte” (2024), (available at konzerterlebnisberichte). ↩