Sophia Weidemann in Bremen
Ich wollte ja eigentlich kein Review für das Konzert schreiben, weil ich mich bei Klassik null auskenne und mich da garantiert nur blamieren kann. Daher gibt es auch keine Fotos … Ein paar Beobachtungen muss ich aber wohl doch loslassen.
Angefangen hat alles damit, dass das „Konzert für Bremen“, geplant mit einem moderaten Preis von 35 € pro Ticket, egal, wo man sitzt, um auch den ungewaschenen Massen den Klassikgenuss zu ermöglichen, zu etwa 15 % Saalauslastung geführt hat. Der etwas dickere, lustige kleine Mann im schicken himmelblauen Blazer weihte uns neben diesen allgemeinen Informationen zu Format und Zielpublikum des Konzerts (jene, die nicht in Schwachhausen wohnen) jedoch auch noch in ein anderes Betriebsgeheimnis ein: Die Sängerin der Arie für den Abend, Helena Zubanovich, hatte tatsächlich an dem Tag Geburtstag. Daher würde das Orchester, sobald sie ihren Platz eingenommen hätte, „Happy Birthday“ spielen, und wir würden das dann auch für sie singen. Während ich an meinen Zweifeln nagte, ob das wohl auch so von der Mezzosopranistin gewünscht wäre, gab es noch mal Rückversicherungsbedarf seitens des Publikums bezüglich des Vornamens der werten Dame (Helena) zur Vorbeugung eventueller mittstrophig auftretender Gesangslücken, dem zu allseitiger Erheiterung nachgekommen wurde, und das Konzert konnte losgehen.
Ich saß in der ersten Reihe mittig, mit jeweils einem leeren Platz neben mir, konnte also meine regenbogenfarbigen Schuhe ungestört ganz weit von mir strecken, um meinen langen Beinen in der weinroten Cordglockenhose eine entspannte Lauschposition zu bieten. Mitsamt dem silbernen Samthemd und der blau-rot-weiß gescheckten Beatlesjacke (entsprechende Schmuckstücke dürft ihr euch dazuimaginieren) war ich definitiv einige entgeisterte Blicke gut, die älteren Damen in der Reihe hinter mir haben mich mit ihren Augen aufgefressen und meinen kopfgedrehten okulären Saalexplorationsmissionen ein jähes, verschämtes Ende gesetzt. Es wurde dann aber auch Zeit, die Augen zu schließen, um der Musik den gebührenden Raum in der Wahrnehmung zu geben.
Der Abend hat mir in Erinnerung gerufen, dass Orchestermusik schon einer der großen Gründe ist, warum das Leben lebenswert ist, und warum Adorno schon etwas am Wickel hatte, wenn er mit dem Übergang auf den Jazz den Untergang der wahrhaftigen Ästethik in der Musik vermutete, war es doch eine Wegwendung vom Orchester (aber eine Hinwendung zur Big Band, lieber Wiesengrund!). Ein ganzer Raum voller hervorragender Musiker auf ihren über die Jahrhunderte perfektionierten Klangerzeugern, die ganz ohne die engen Zeit- und Praktikabilitätserwägungen der modernen Musikindustrie ein Thema über mehrere Zehnminuten zu entwickeln und seiner Konklusion hinzutreiben – es gibt wenig, was einen mehr erfüllt.
Vom Klavierkonzert ist mir ein Moment besonders im Gedächtnis geblieben, als Weidemann nach einem der Klavierparts einen ganz hohen Ton sehr, sehr laut anschlug, der dann so nahtlos von einem der Streichinstrumente in der Luft gehalten wurde, dass ich mich erst über die Standqualitäten des Pianos wunderte (ein Steinway, was sonst), bevor ich mit Honig in der Brust und einem Lächeln im Gesicht realisierte, was gerade vorgefallen war.
Die zweite Hälfte des Konzerts begann mit einer Helena Zubanovich, die von einem „Happy Birthday“-Ständchen überrascht zu Protokoll gab, noch nie in ihrem Leben eine Torte zum Geburtstag geschenkt bekommen zu haben, kontinuierte mit einem Violoncello-Konzert von Johannes Krebs, der wunderbar spielte, meiner Konzentration aber durch seine deutlich hörbaren Schnauber vor jedem neuen Einsatz abtrug, sowie einem Orchesterstück, dass seine Schönheit so wohlgeordnet und harmonisch zur Schau stellte, dass man dem Komponisten ein paar leninsuggerierte Kopfschläge verpassen wollte.
Das Konzert für Bremen soll es übrigens nächstes Jahr wieder geben. Also, ungewaschene Klassikliebhaber ohne Haupt- oder Zweitwohnsitz in Schwachhausen, nix wie hin.
I didn’t really want to write a review of the concert because I know absolutely nothing about classical music and am guaranteed to make a fool of myself. That’s why there are no photos… But I do have a few observations to share.
It all started with the fact that the ‘Concert for Bremen’, planned with a moderate price of €35 per ticket, regardless of where you sit, to enable the unwashed masses to enjoy classical music, has led to a hall occupancy rate of about 15%. The rather portly, jovial little man in the chic sky-blue blazer not only gave us this general information about the format and target audience of the concert (those who don’t live in Schwachhausen), but also let us in on another secret: The singer of the aria for the evening, Helena Zubanovich, actually had her birthday that day. Therefore, as soon as she took her seat, the orchestra would play ‘Happy Birthday’ and we would then sing it for her. While I was gnawing at my doubts as to whether this would also be desired by the mezzo-soprano, the audience once again needed to be reassured about the first name of the dear lady (Helena) to prevent any gaps in the singing mid-stanza, which was met with general amusement, and the concert could begin.
I sat in the first row, in the middle, with an empty seat next to me on each side, so I was able to stretch my rainbow-coloured shoes undisturbed, far away from me, to offer my long legs in the wine-red corduroy bell-bottom trousers a relaxed listening position. Together with the silver velvet shirt and the blue, red and white mottled Beatles jacket (you can imagine the matching jewellery), I was definitely good for some horrified looks. The older ladies in the row behind me ate me up with their eyes and put an abrupt, shamefaced end to my head-turned ocular hall exploration missions. But then it was time to close my eyes to give the music the attention it deserved.
The evening reminded me that orchestral music is one of the great reasons why life is worth living, and why Adorno was only a little off the mark when he suspected the transition to jazz would be the downfall of true aesthetics in music, as it was a turning away from the orchestra (but a turning towards the big band, dear Wiesengrund!). A whole room full of excellent musicians, playing instruments that have been perfected over the centuries, developing a theme over several tens of minutes and driving it towards its conclusion without the modern music industry’s narrow considerations of time and practicality – there is little that fulfils you more.
One moment in particular of the piano concerto has remained in my memory: when Weidemann struck a very high note very, very loudly after one of the piano parts, it was then held in the air so seamlessly by one of the string instruments that I was initially amazed at the sustaining qualities of the piano (a Steinway, of course), before I realised with honey in my chest and a smile on my face what had just happened.
The second half of the concert began with a Helena Zubanovich, who, surprised by a ‘Happy Birthday’ serenade, stated that she had never in her life been given a cake for her birthday. It continued with a cello concerto by Johannes Krebs, who played wonderfully, but detracted from my concentration with his clearly audible snorts before each new entry, as well as an orchestral piece that displayed its beauty in such a well-ordered and harmonious way that one wanted to give the composer a few Lenin-inspired headbutts.
Incidentally, the concert is to be held again in Bremen next year. So, unwashed classical music lovers without a primary or secondary residence in Schwachhausen, don’t miss out.