Dass alle Wege nach Den Haag führen, wäre wohl gelogen. Aber wessen Herz für die Fusion aus einer düsteren Lebenseinstellung, die auch gerne mit Leder und Latex und natürlich ganz viel Schwarz nach außen getragen wird und sich ebenso in den Themen und den Texten der Musik niederschlägt, sowie harten 80er-Jahre Synthesizerklängen schlägt, die unter Namen wie Dark-Wave oder Neue Neue Deutsche Welle mal wieder über Europa schwappt, dessen Weg führt wohl an einem Besuch dieser Stadt im tourismusjahrausgleichend wohlgewählten Monat Februar nicht herum – denn dann gibt es dort das Grauzone.

Maquina

Dort gibt es dann so Bands wie Maquina, die den Donnerstagabend in einem niederländischen Bierpub mit Bartendern, die ihre Rolle als Rollenbeschreibung ernst nehmen und sich so wohl ihre Schauspielausbildung per Trinkgeld verdienen in einen Ausflug in eine Welt voller Bass, Gitarre und vor allem diesen harten, oft Tempo und Rhythmus wechselnden Schlagzeugparts des Frontmanns verwandelten. Diese waren eingebaut in Songs die scheinbar endlos ineinander flossen und so die Frage erzeugten, ob diese Band für den zweiten Auftritt wohl ein ähnlich fugenloses zweites Set vorbereitet hat, wobei der Hang des Gitarristen zur kopfschüttelnden Haarbewegung als einziges Instrument in seinem Bühnenrepertoire (Gitarrenspielbewegungen nicht mitgezählt) vielleicht darauf hindeuten, dass auch für ihn diese perfekte Abgestimmtheit überraschend kam.

Zola Jesus

Es gibt auch eine Zola Jesus, die meinen Befürchtungen ob der Livetauglichkeit ihrer Musik, die nämlich aus opernhaftem Gesang (soll Gerüchten zufolge auch schon im 17. Jahrhundert funktioniert haben) sowie aus sowohl grandiose wie detailverliebten Synthesizerlandschaften (funktionieren live oft soundtechnisch nicht so perfekt) mit einer Performance nur mit Klavier (ganz versteckt gab es gelegentlich ein ganz klein bisschen Synthesizer) jedweden Boden unter den Füßen weggeschlagen hat, und uns mit dem Flügel und ihrer Stimme bewaffnet in eine Welt voller performancetauglicher Verzweiflung und Wut und Trauer mitgenommen hat. Über das Publikum musste man leider den Kopf schütteln, als eine Ankündigung zweier Stücke über Suizid mit einem enthusiastischen „Juhu!“ quittiert wurde.

High Vis

Als drittes Ausstattungselement dieser eigentlichen niederländischen Hauptstadt (Amsterdam wurde den Niederländern wesensfremd von einem Napoleonsproß zur Hauptstadt gekürt), die von Deutschen im Sommer oft als Heimatstrand missbraucht wird, ist eine englische Punkband names High Vis, die meinem Festivalbesuch einerseits den ersten, hochdringendbenötigten Moshpit schenkten, diesem Fest der traurigen Musik eine gehörige Portion Wut sowie eine glaubwürdige Portion Verwunderung ob den verschlungenen Wegen des Schicksals, die diese britische Unterschichtsband auf die größte Bühne des Festivals mit drei Etagen voller Menschen mit Geld und Hang zur alternativen, ledernen Selbstdarstellung führten. Ein-zwei Punks waren auch dabei. Ein Novum für mich: Der Sänger, der mal links, mal rechts der Mitte ins Publikum schrie und so die pogende Masse zu oszillierenden Verdichtungen bewegte.

Tramhaus

Abgeschlossen wurde der Freitag als erster echter Festivaltag mit einer Performance der Band namens Tramhaus, angeleitet von einem Sänger, dessen Stil sich wohl am besten in den Worten „Napoleon Dynamite“ wiedergegeben findet, und deren Musik zwischen Punk und Prog-Rock changierte. Wer mag und die verschwitzte Hitze übersteht, der darf seine Abende auf diesem Festival gerne im Keller des Grey Space in the Middle durchfeiern, mir waren die Konzerte genug.

Shilpa Ray

Der Samstag wurde gehörig von einer Band namens Shilpa Ray eingeläutet, deren Stil jeder Beschreibung, die aber Psychrock zwingend enthalten muss, weil die zwischen Stilen und Melodien und Rhythmen und Tempi mäandernden Strukturen, die vom Dingwort „Song“ nicht richtig getroffen werden (einmal ging es vom braven Rocksong zum totalen Chaos (der Schlagzeuger durfte mit Körpereinsatz und schierem dammbrechenden Elan glänzen) über Poetry-Slam zurück zu Rocksong) nämlich neben der Stimme der Sängerin, die einer Klasse ganz für sich ist, auch die klassischen Elemente des Rocks sowie ein Harmonium enthielten, trotzt.

Balladur

Erwähnenswert ist das Konzert zweier Durchschnittstypen aus Lyon namens Balladur, die zwischen dem Kreieren verträumter und verspielter experimenteller Synthpop Stücke im wohl kleinsten, nicht betanzbaren Raum des Festivals, der mit kolloseumsartigen Sitzbänken ausgestattet war, nicht müde wurden zu betonen, wie langweilig ihre Stadt doch wäre (Den Haag während des Grauzone ist aber auch ein unfairer Vergleichsmaßstab).

Bombstrap

Auf einer kriminell kleinen Bühne durfte man sich dann von einer Hard-Hardcore Punkband, genannt Bombstrap aus balaklavabewehrten Instrumentalistinnen sowie einer Rotleder-Version von Elvira direkt aus der zweiten Hälfte von Dusk Till Dawn als Sängerin zum besten Moshpit meiner bisherigen Konzerterfahrung inspirieren lassen (inklusive Lippenverletzung).

Spike Hellis

Am Sonntag war irgendwie die Luft raus, die einzige Band, die mich mitnehmen konnte, waren Spike Hellis – zwei als Albinos gestylte Amis, die ihre harten Synthesizerklänge auf ihrem Musikserverrack erzeugten und mit ihrem Schreien in den perfekten Soundtrack zu dieser einen Discoszene am Anfang des ersten Matrixfilms machten.

Die Sonne schien zwar nicht, die Stilvielfalt dieser wunderschönen alten Bürgerstadt machte den obligatorischen historischen Stadtrundgang am Abreisetag trotzdem zu einem reinen Vergnügen, zumindest wenn man sich traute, den Blick etwas über die Ladenfenster auf die alte Bausubstanz zu heben. Als kleiner Teaser sei an dieser Stelle verraten, dass die Den Haager mit “Eat the Rich” ernst gemacht haben, und als Rache für den nationalen Niedergang kollektiv an ihrem Ex-Monarchen naschten. Solche Art der Katharsis hatte ich nach diesem Wochenende voller Trunk, Musik und Abenteuer zum Glück nicht nötig.


It would be a lie to say that all roads lead to The Hague, but if you are interested in the fusion of a dark attitude to life, which is also often presented to the world with leather and latex and, of course, lots of black, and is also reflected in the themes and lyrics of the music, as well as hard 80s synthesiser sounds, which, under names like Dark-Wave or Neue Neue Deutsche Welle, is once again sweeping across Europe, then your path probably cannot avoid a visit to this city in the tourist-year-balancing month of February – because that’s when the Grauzone festival is held there.

Maquina

There you can find bands like Maquina, who turn Thursday evenings in a Dutch beer pub into an excursion into a world full of bass, guitar and, above all, those hard, often tempo and rhythm-changing drum parts from the frontman, built into songs that seemed to flow endlessly into one another, raising the question whether this band had prepared a similarly seamless second set for the second performance, although the guitarist’s tendency to shake his head full of hair as if endlessly and enthusiastically saying no as the only instrument in his stage repertoire (not counting guitar playing movements) might indicate that this perfect coordination also came as a surprise to him.

Zola Jesus

There is also a Zola Jesus, who allayed my fears about the live suitability of her music, which consists of operatic singing (rumour has it that this worked in the 18th century too) and both grandiose and detailed synthesiser landscapes (frequently don’t work so well live in terms of sound technology) with a performance with just a piano (occasionally there was a tiny bit of synthesiser, hidden away), and took us, armed with a grand piano and her voice, into a world full of performance-ready despair and anger and sadness. Unfortunately, the audience made me shake my head when they enthusiastically cheered ‘yay!’ at the announcement of two pieces about suicide.

High Vis

The third piece of scenery in this capital of the Netherlands (Amsterdam as the capital was forced upon the Dutch by a scion of Napoleon), which is often misused by Germans in the summer as a home beach, is an English punk band called High Vis, who, on the one hand, gave my festival visit the first, much-needed mosh pit, a good portion of anger and a credible portion of amazement at the winding paths of fate that led this British underclass band to the largest stage of the festival, with three floors full of people with money and a penchant for alternative, leather self-expression. There were also one or two punks in the crowd. A novelty for me: the singer, who shouted into the audience, sometimes left of centre, sometimes right, and thus moved the surging mass to oscillating condensations.

Tramhaus

The first real festival day on Friday was concluded with a performance by the band Tramhaus, led by a singer whose style is probably best described as ‘Napoleon Dynamite’, and whose music alternated between punk and prog rock. If you like and can survive the sweaty heat, you are welcome to party the evenings away at this festival in the basement of Grey Space in the Middle; for me, the concerts were enough.

Shilpa Ray

Saturday was properly rung in by a band called Shilpa Ray, whose style defies any description, which must nevertheless include psych rock because, as the structures that are not properly captured by the word ‘song’, meandering as they were between styles and melodies and rhythms and tempi (once it went from a well-behaved rock song to total chaos (the drummer was allowed to shine with physical exertion and sheer dam-breaking vigour) via poetry slam back to a rock song) included not only the voice of the singer, who is in a class all to herself, but also the classic elements of rock and a harmonium.

Balladur

Worth mentioning is the concert of two average guys from Lyon called Balladur, who created dreamy and playful experimental synthpop pieces in the probably smallest, non-danceable room of the festival, which was equipped with coliseum-like benches, never tired of emphasising how boring their city was (The Hague during the Grauzone is just such an unfair benchmark).

Bombstrap

On a criminally small stage, a hardcore punk band called Bombstrap, made up of balaclava-clad female instrumentalists, and a red leather version of Elvira, straight out of the second half of From Dusk Till Dawn, inspired the best mosh pit of my hitherto concert experience (including a lip injury).

Spike Hellis

On Sunday, I was somehow deflated. The only band that could take me away was Spike Hellis – two Americans styled as albinos who created their harsh synthesiser sounds on their music server rack and, with their screaming, turned it into the perfect soundtrack for that one disco scene at the beginning of the first Matrix film.

The sun didn’t shine, but the stylistic diversity of this beautiful old bourgeois city made the obligatory historical city tour on the day of departure a pure pleasure, at least if you dared to raise your gaze a little above the shop windows to the old building substance. As a teaser, it should be revealed at this point that the people of The Hague have taken ‘Eat the Rich’ seriously, and to avenge the national decline, they have collectively nibbled on their ex-monarch. Fortunately, after this weekend of drinking, music and adventure, I had no need of such catharsis.