Ich bin ja nicht gerade ein großer Kenner der modernen Jazzszene, aber als Pitchfork vor Kurzem das Kollaborationsalbum von Vijay Iyer und Wadada Leo Smith namens “Defiant Life” rezensiert hat, hörte ich, wie ich das so mache, rein, und meine Ohren waren erfreut. Als also der flugs eingerichtete Songkickalarm für den lieben Iyer ausgeschlagen hat, noch dazu in einer Konzertlocation, in der ich noch nie war, und ich ihn leider auf dem Moers verpassen musste, hab’ ich mir ein Ticket gekauft – auch wenn das 60 € kostete.

Vijay Iyer Trio

Vijay Iyer war (bedauerlicherweise?) gar nicht mit Wadada Leo Smith zu sehen, sondern mit Bass und Schlagzeug als Vijay Iyer Trio. Das alles fand im Nica Jazz Klub statt, dessen komplette Programmierung auf Repräsentation der Hamburger Oberschicht (am Rathausmarkt am Wasser, mit schnieker und seelenloser Inneneinrichtung, mit sehr altem und wahrscheinlich auch sehr wohlhabendem Publikum in sehr gediegener Kleidung, natürlich als Sitzkonzert) nur durch ein paar, der erst sehr kurzen Inhabitationsdauer geschuldeten, Schönheitsfehler gebrochen wurde – das mit Edding beschriebene Paketklebeband als Geschlechtsanzeiger der Toiletten, um das prägnanteste Beispiel zu nennen.

Von der in solchen Atmosphären wohl unerlässlichen Ankündigerin gab es die Ansage, dass das Trio das in ihren Augen beste der Welt wäre – und auch wenn ich das nicht beurteilen kann, so muss ich doch sagen, dass Jazzkombos schon eine sehr spezielle Art von musikalischer Unterhaltung sein können. Ich durfte das das letzte Mal in Moers beim Kinetic Chains erleben, und dieses Mal hier. Jazzstücken wird ja oft die Tendenz nachgesagt, dass es erst das Thema gibt, dann Soli, und dann noch einmal Crescendo, und dann ist es vorbei. Und natürlich gibt es diese Grundstruktur auch hier, aber noch so viel mehr. Es gibt ein Schlagzeug, dass teilweise fast davonzurennen versucht, aber vom Piano immer wieder in die Songstruktur zurückgebracht wird, bis sich daraus ein ganz neuer Rhythmus entwickelt. Es gibt einen Bass, der im Dialog mit dem Klavier von den Wehen der Welt erzählt, bis das Schlagzeug mit seinem Einsatz in der Synthese dem Lied eine ganz neue Dynamik gibt. Und es gibt da diesen Song, in dem ein ganz einfaches, leicht synkopiertes Bassthema durch alle Wirrungen und Pausen und Rhythmen und Tempowechseln von Schlagzeug, Piano und Bass immer wieder durch- und erscheint oder auch einfach da ist, bis es sich in Wohlgefallen und Nicht-Mehr-Synkopiertheit auflöste, was aber auch nur der Auftakt für einen himmlisch süßen Epilog bildete.

Es ist glaube ich, dieses das Abzeichen von wahrhafter Größe einer Jazz-Kombo – die Improvisationen und Soli nicht im Abzeichen der technischen Makellosigkeit aufgehen zu lassen, sondern sie ihren Platz in der Fortentwicklung des Stückes finden zu lassen, sodass am Ende jeder Übergang zwischen A und B nur ein nicht klar abtrennbarer in einer endlosen Reihe ist, die vom ersten bis zum letzten Ton führt.

Ich musste wieder früher los, da ich nicht endlos spät im Bett sein wollte … die Musik hätte es anders verdient.